Fürsorgliches Reden über den Terror – ein Widerspruch?

[Terror]
[Werte]
[Fürsorglichkeit]

Wie reden wir eigentlich über den Mordanschlag vom 19. 12. 2016? Über das, was am Berliner Breitscheidplatz geschehen ist? Nennen wir es „Terror“? „Islamistischer Terror“? „Terroranschlag“?

Strenge, konservative PolitikerInnen tun sich jetzt leicht. Sie sehen unsere „christlichen Werte“ bedroht, ohne diese genauer beim Namen zu nennen.

Strenge, konservative PolitikerInnen tun sich jetzt leicht. Sie rufen nach „Härte“, nach „Maßnahmen“, die „endlich“ zu erfolgen hätten.

Für fürsorgliche Menschen, die optimistisch eine lebenswerte Zukunft gestalten wollen, ist in diesen Tagen der deutsche Bundespräsidenten Joachim Gauck ein Vorbild. Er hat aufgerufen, die Gewaltattacke mit „Hilfsbereitschaft, menschlicher Nähe, Fürsorge und Dasein für Andere“ zu beantworten.

Ist das Gutmenschentum? Muss ich den Attentäter auch noch streicheln und ihm Kekse backen? Keineswegs. Wir reden hier (mit höchster Wahrscheinlichkeit) von geplantem Massenmord. Mit Stand heute sind 13 Menschen tot. Es ist klar, dass es Aufgabe der Polizei ist, den oder die TäterInnen zu finden und an die Justizbehörden zu übergeben.

Wir können die Tat verurteilen.
Und trotzdem unsere fürsorglichen, optimistischen Werte leben.

Noch einmal Präsident Joachim Gauck: „Der Anschlag auf unschuldige Menschen gilt als ein Anschlag auf unsere Art zu Leben.“

Ich höre das als Aufforderung: Was ist „unsere Art zu leben“? Was sind die „Werte“, die es zu verteidigen gibt? Für mich steht unbeeindruckt vom Terror Empathie im Mittelpunkt. Ich werde auch weiterhin offen auf jeden Menschen zugehen, der mir begegnet. Ich werden weiterhin optimistisch in die Zukunft schauen. Ich werde meinen Kindern jeden Tag sagen, dass ich sie liebe und dass die Welt ein sicherer Ort ist, an dem sie sich entfalten können.

„Hilfsbereitschaft, menschliche Nähe, Fürsorge und Dasein für Andere“
Danke, Herr Gauck!

Berlin. Sprachlos.

[Berlin]
[Terror]
[Angst]
[Sprachlosigkeit]

Wir tun das eigentlich Notwendige nicht. Worte suchen und finden.

12 Menschen sind tot.
Wir sind betroffen. Entsetzt. Sprachlos.
In Wien, in Berlin, die Trafikantin begrüßt mich mit „Entsetzlich, was da geschehen ist!“
SpitzenpolitikerInnen drücken ihr Beileid aus. Wir legen Wert auf die Tatsache, dass wir weiterhin nach unseren Werten leben werden.
Dass wir heute Abend selbstverständlich auf einen Punsch gehen werden. Jetzt erst recht.

Und wir tun das eigentlich Notwendige nicht. Worte suchen und finden.

Angesichts derartiger Bluttaten sind wir sprachlos.
Ein schlechter Zustand, denn was wir sprachlich nicht ausdrücken können, was uns wortlos zurücklässt, das können wir auch nicht reflektieren. Eine schlechte Position zu einem Phänomen, das sich anscheinend anschickt, in Europa häufiger zu werden. Da fehlt uns etwas. Es fehlt uns die Fähigkeit, derartige Taten zu reflektieren.

Terror?
Im Englischen funktioniert der Begriff klarer.
Angst. Riesenangst. Scheißangst.
Der Terrorist verbreitet Terror.
Er verbreitet Angst.
Die Tat macht uns Angst.
Sprachlosigkeit ist Hilflosigkeit. Und Hilflosigkeit ist Angst.

Es hilft, zu dieser Angst zu stehen und darüber zu reden. Heimlich mit sich selbst und öffentlich mit Freunden und in den Medien. Wir dürfen jetzt keine Angst zeigen, höre ich aus dem Radio. Warum eigentlich nicht? Weil der Terrorist damit sein Ziel erreicht hätte.

Ganz schnell sind wir beim rationalen Auflösen des Geschehenen.
Ohne uns weiter mit dem Lenker des LKW auseinanderzusetzen wissen wir: Es ist ein Anschlag auf Merkels Politik.
Österreichs Innenminister vergrößert die Unsicherheit indem er aufruft, nach verdächtigen Menschen Ausschau zu halten. Die Gefahr kann überall lauern! Wir brauchen mehr Betonabsperrungen.

Ich halte das Unterdrücken der Angst, das nicht darüber Reden, für einen fatalen Fehler.
Ja, ich habe Angst, ich stehe zu meiner Angst.
Ich muss nicht mutig sein.
Ich bin bereit, weiterhin Punsch zu trinken.
Ich bin bereit herauszufinden, was denn „unsere Werte“ sind, die wir gegen „den Terror“ verteidigen müssen.
Uns fehlen die Worte. Ändern wir das!